Unsere Führungsreihe – Teil 1

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Credits by Speisenraum Fotografie

Wie wird Führung in unterschiedlichen Kontexten verstanden und gelebt?

Wenn von Führung die Rede ist, begegnen uns in unseren unterschiedlichen Besetzungs- und Beratungsmandaten die unterschiedlichsten Führungsverständnisse und -realitäten.

Erwartungen bzw. Ansprüche und Wirklichkeit gehen bei den Führungskräften gelegentlich weit auseinander. „Gute Führung“ wird allerdings nach Einschätzung aller Beteiligten gerade in diesen bewegten Zeiten immer wichtiger und steht auch in unserer Wahrnehmung bei den Mitarbeitern immer mehr im Fokus. Es scheint, als verlange Führung den Führenden zunehmend mehr ab.

Wir von proJob wollten es genauer wissen und haben uns deshalb auf eine ungewisse Reise begeben, um mehr über Führung und die Menschen dahinter zu erfahren. Auch in Kontexten, die zunächst nicht unbedingt mit Führung in Verbindung gebracht werden. Was genau macht Führung aus? Kann Führen auch Spaß machen? Wieso ist Führung ein Erfolgsfaktor? Fragen über Fragen. Mit teilweise verblüffenden Antworten. In loser Folge bitten wir Führungskräfte oder Experten zum Thema Führung aus unserem Netzwerk zum Gespräch und fragen nach. Es könnte spannend werden. Begleiten Sie uns einfach.

Folge 1: Jan Cornelius Maier, Restaurant „maiBeck Für dich“, Köln

Das Restaurant „maiBeck Für dich“ im Schatten der Kölner Philharmonie hat einen Traumstart hingelegt. Die Inhaber und Macher dahinter sind Tobias Becker und Jan Cornelius Maier, die eine bewegte Vita mit Aufenthalten an allerersten Adressen hinter sich haben. Nur ein Jahr nach der Eröffnung gab es für das maiBeck einen Michelin-Stern. Das hat in erster Linie gewiss mit gutem Essen zu tun. Aber es steckt natürlich weitaus mehr dahinter, wie wir im Gespräch mit Jan Cornelius Maier erfahren.

Herr Maier. Wenn Sie erlauben, ignorieren wir für einen Augenblick das Protokoll. Was hat es mit dem Schriftzug Künstlereingang auf sich?

Jan Cornelis Maier: Bevor wir das maiBeck eröffneten fanden in dieser Lokalität unter anderem Jazzkonzerte statt. Daher der Künstlereingang. Wir haben ihn als Personaleingang wiederbelebt, auch weil sich unsere Mitarbeiter schon auf eine gewisse Art und Weise als Künstler verstehen dürfen. In dem Sinne, dass wir unsere Tätigkeit auf eine besondere Art kunstvoll beherrschen, obgleich es nicht unser Selbstverständnis ist. Wir sind bodenständig und in erster Linie Handwerker. Ungeachtet dessen, ist es eine schöne Form der Wertschätzung.

Als Sterne-Restaurant gilt Ihr Streben der Perfektion – in allen Bereichen. Welche Rolle würden Sie in diesem Zusammenhang Ihren Mitarbeitern zuschreiben?

Maier: In einem einfachen Konzept wie dem unseren eine noch deutlich wichtigere als beispielsweise in einem Drei-Sterne-Restaurant, in dem die Show so perfekt eingespielt ist und manche Dinge auf andere Weise ausgebügelt, überlagert werden können. Wir legen einen anderen Grundstein, sind sehr reduziert. Der Kern unserer Arbeit steht im Vordergrund und somit auch die eigentliche Leistung unserer Mitarbeiter. Überdies leben wir in einem hohen Maße davon, dass unsere Mitarbeiter sehr lange bei uns sind und über die Routine zur Perfektion gelangen. Wir brauchen keine Genies, sondern Loyalität und die Bereitschaft zur Identifikation und Mitarbeiter die glücklich sind, mit dem was und wie sie es tun. Hierfür müssen wir als Führung die Voraussetzungen schaffen und mit allen Mitteln zeitgemäßer Mitarbeiterführung ein Klima entstehen zu lassen, in dem sich unsere Mitarbeiter bestmöglich entwickeln können und sich gerne Tag für Tag dieser Herausforderung stellen.

Ist Konstanz in der Führung ein Erfolgsfaktor?

Maier: Absolut. Das wissen unsere Gäste nicht minder zu schätzen, die uns regelmäßig darauf hinweisen. Davon profitieren alle Seiten. Konstanz ist förderlich und schafft Stabilität. Da geht es um Rituale, Abläufe, Gewohnheiten, die die Leistung im Idealfall immer besser werden lassen. Was das angeht, sind wir wirklich gesegnet und wir versuchen diesen Schatz zu behüten. Das ist etwa wie die Pflege von etwas Schönem. Dessen sind wir uns sehr wohl bewusst und das ist eine unserer zentralen Aufgaben als Führung, dieses Glück zu bewahren.

Wie stellen Sie das genau an. Wie gelingt Ihnen diese Vernetzung mit Ihren Mitarbeitern?

Maier: Da gibt es keinen Masterplan. Da spielen einerseits sicher unsere Erfahrungen eine Rolle. Andererseits ist es die Summe der bewussten Entscheidungen, die wir ständig zu treffen haben. Das ist gar nicht so ein Instinkt-Ding oder eine Frage der Persönlichkeit. Warum machen wir etwas so und nicht anders? Mitarbeiter für das Erlebte begeistern. Gemeinsame Geschichten kreieren und deutlich machen, dass Entscheidungen auch dem Zweck dienen, dass wir gemeinsam eine schöne, zufriedene und glückliche Zeit im maiBeck verbringen können. Der Begriff Familie kommt dem Miteinander schon sehr nahe. Das ist zumeist das Gegenteil von dem, was viele Mitarbeiter in der Gastronomie zuvor erfahren haben.

In Ihren beruflichen Anfängen haben Sie Führung von der anderen Seite erfahren. Hat Sie das inspiriert?

Maier: Das ist enorm, was man da mitnimmt. Inspiriert haben mich vor allem die unternehmerischen Entscheidungen meiner Chefs. Ansonsten waren Tobias und ich relativ schlecht zu führen. Wir sind echte Autoritätsmuffel. Kritik vertrage ich nur schlecht, auch wenn es besser geworden ist. Das führte wohl auch dazu, dass wir uns schnell zu verantwortungsvollen Positionen hingezogen fühlten. Lieber mehr Verantwortung und womöglich Ärger einhandeln, als vor den Aufgaben wegzulaufen. Jeder der Verantwortung und Führung übernehmen möchte, ist herzlich willkommen. Aber wir verstehen auch, dass es Menschen gibt, die sich gerne führen lassen. Beides ist in Ordnung.

Die Auswahl der Produkte ist für Sie die wichtigste Säule für exzellentes Essen. Wie steht es mit denen, die diese zubereiten, in Szene setzen und servieren? Maier: Eine Auswahl der Mitarbeiter im klassischen Verständnis findet eher nicht statt. Die Auswahl trifft das Restaurant für uns. In dem Moment, wo jemand hier seine ersten Stunden verbringt, merken beide Seiten recht schnell, ob es funktioniert. Da geht es um Chemie und geistige Verbundenheit. Da ist oft eine Sache von Sekunden. Manche suchen nach der Show, andere nach echten Inhalten. In sicher 95 Prozent der Fälle sind sich Proband und wir einig und die Entscheidung einvernehmlich. Das ist eine natürliche Auslese.

Ihre potenziellen Mitstreiter müssen eine hohe Hürde nehmen. Ihre Suche gilt, so ist Ihrer Website zu entnehmen, den besten Köpfen, Händen, Herzen und Bäuchen. Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen ist vermutlich leichter?

Maier: Im Gegenteil. Ist es vielmehr so, dass sich die Mitarbeiter ihren Arbeitgeber aussuchen. Eine wichtige Funktion übernehmen dabei die Restaurantführer, die gleichermaßen für Gäste und Mitarbeiter eine Orientierung bieten. Da trennt sich recht schnell die Spreu vom Weizen. Diese Darstellungen sind ein ausgezeichnetes Hilfsmittel, um sozusagen auf Brautschau zu gehen. Eine Art Kontaktbahnhof, ein Kanal, aus dem eine gezielte Selektion resultiert. Die Mitarbeitergewinnung wird hierdurch erheblich erleichtert.  Deshalb ist es keineswegs die Nadel im Heuhaufen, weil schon viel vorher passiert, bevor man zusammenfindet. Das Personal sucht sich den Betrieb aus.

Mitarbeiterentwicklung eine wesentliche Aufgabe von Führung

Was geschieht mit den Unentschlossenen, aber Talentierten, die am Anfang stehen? Vielleicht einmal zu den Besten gehören wollen.

Maier: Das ist ein wichtiger Punkt und da sind wir selbstverständlich bereit, diesen Weg mitzugestalten. Wir unterstützen Ausbildung und geben jedem eine Chance, der den Ehrgeiz und den Willen mitbringt und sagt, „ich bin noch nicht soweit, aber ich möchte in eure Richtung geführt werden“. Denn zur Führung gehört es auch, nicht fertige Mitarbeiter zu seinen Mitarbeitern zu machen. Eigens zu diesem Zweck bilden namhafte Restaurants eigene Ausbildungsakademien. Klar ist, dass wir uns als Arbeitgeber bewegen und für Mitarbeiter attraktiv sein müssen, um weiterhin erfolgreich sein zu können. Gerade in Zeiten von Vollbeschäftigung erfordert dies enorme Anstrengungen und wird perspektivisch eine der wichtigsten Aufgaben von Tobias und mir sein. Mitarbeiter zu entwickeln, die auf den ersten Blick womöglich für diesen Job ungeeignet erscheinen, gewiss aber die richtige Haltung und Einstellung mitbringen. Hier müssen wir nicht nur EU-weit, sondern fachübergreifend denken.

Sie haben beide eine interessante, bunte Vita hinter sich und auf höchstem Niveau wertvolle Erfahrungen sammeln können. Was sind Ihre elementaren Erkenntnisse hinsichtlich der Auswahl, Führung und Förderung von Mitarbeitern?

Maier: Das sich alles massiv verändert hat und mit dem, was in der Vergangenheit passiert ist, nicht mehr vergleichbar ist. Die zeitgemäße, nachhaltige Führung eines Unternehmens ist die eigentliche Herausforderung modernen Unternehmertums. Mehr denn je sind die Inhalte, das Sinnstiftende, die Motivation jedes Einzelnen, zu berücksichtigen. Und, ich wiederhole mich, wenn mit der täglichen Arbeit Zufriedenheit und Glücksgefühle einhergehen, ein faires Miteinander, geprägt von Achtung und Respekt einhergeht, sind wir auf dem richtigen Weg.

Was bedeutet für Sie Führung? Was macht gute Führung aus? Im Allgemeinen sowie in Ihrem konkreten Fall?

Maier: Inspirierend wirken, Vorbild sein. Vorangehen. Ganz konkret heißt es auch, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, egal an welchem Punkt sie gerade sind. Sie an einen neuen Punkt zu bringen. Neue Perspektiven eröffnen. In kleinen Schritten gemeinsam neue Ziele anvisieren. Fundamente legen. Ihnen die Möglichkeit geben, einen Fußabdruck zu hinterlassen. Ihnen Wertschätzung entgegenbringen. Entwicklungen begleiten. Ratgeber sein. Den Nährboden für Verbundenheit entstehen lassen, die Rückschläge verkraften lässt. Sich mit Mitarbeitern beschäftigen und sie spüren lassen, dass sie auch in kritischen Momenten sich der vollen Rückendeckung gewiss sein können. Geduld sein. Ruhe bewahren. Wenn alles zusammenkommt, kann eine unerschütterliche Basis entstehen, wie sie eine Familie im besten Sinne auszeichnet.

Gerade in der Spitzengastronomie sind Kreativität, Leidenschaft und Mut zu Neuem Alltag. Mitunter prallen Welten aufeinander. Wie viel Konfliktkultur kann Führung verkraften?

Maier: Das hängt stark von der Qualität der Führung ab. Je besser die Führung, desto mehr verträgt sie. Die Doppelspitze mit Tobias bringt viele Vorteile mit sich. Es gibt bestimmte Dinge, die ich allein nicht aushalten würde. Gemeinsam gelingt es uns. Diese Stabilität verträgt eine Menge Konflikte. Wichtig ist natürlich, dass ein offenes Miteinander herrscht, in dem Probleme oder Missstände angesprochen werden können. Jeder Mitarbeiter hat die Gelegenheit, seine Wünsche und Unzufriedenheit zu artikulieren. Ich würde mir sogar wünschen, dass unser Team hier noch mehr Initiative zeigt, weil einige positive Veränderungen auf Anregung der Mitarbeiter hin erst entstanden sind.

Das Wir-Gefühl wird im maiBeck großgeschrieben. Ist zu viel Miteinander im Hinblick auf Führung eines erfolgreichen Unternehmens womöglich der Anfang vom Ende? Anders gefragt: Bedarf es nicht einer gehörigen Portion Reibung, um zu den Besten zu gehören?

Maier: Wenn man zum Kreis der Allerbesten gehören möchte, ist Reibung sicher notwendig. Restaurants, die in Rankings denken, brauchen eine ganz gehörige Portion Reibung. Mitunter müssen sie sich neu erfinden. Ich vergleiche das mal mit einer Nationalmannschaft, die Fußball-Weltmeister werden will. Da braucht es oftmals einen großen Knall, Veränderung, den Hunger nach dem Titel und diese mentale Wachheit, um ganz oben dabei zu sein. Da bewegen wir uns in der absoluten Spitze. Das sind vielleicht 2% Prozent. Bei uns ist das anders. Wir gehören zum guten oberen Durchschnitt der Restaurants in Deutschland. Da können wir entspannt bleiben, um diese Stellung zu festigen, zu stabilisieren. Im Gegenteil: Wir kommen sehr gut mit wenig Reibung aus. Stattdessen favorisieren wir viel Miteinander und Ruhe und wenig unausgesprochene Dinge. Diese Offenheit und Klarheit ist unsere Stärke. Damit sind wir sehr zufrieden. Für mich kann es nicht genug Routine, Miteinander und Harmonie geben. Auch wenn die Gefahr besteht, hier und da einmal langweilig zu werden.

Menschen streben nach Selbstverwirklichung. Wie viel Freiraum gewähren Sie Ihren Mitarbeitern und wo ziehen Sie Grenzen?

Maier: Es gibt keine Limits. Es ist vielmehr so, dass ich unseren Mitarbeitern gerne mehr Freiraum geben würde. Aber sie wollen es nicht. Sie bevorzugen eher einen engen Korridor, in dem sie sicher und routiniert bewegen können. Das liegt wohl daran, dass Freiheit mit ungewohnter Anstrengung verbunden ist. Die meisten Menschen trauen dem Bewährten und bleiben dabei. In diesem Terrain fühlen sich sie wohl. Die einzige rote Linie besteht dort, wo die Regeln eines gesitteten Miteinanders überschritten werden.

Als Führungskraft sind Sie als Lehrmeister, Takt- und Richtungsgeber, Impulsgeber, Schlichter. Motivator und Menschenversteher gefragt. Unpopuläre Entscheidungen gehören zum Tagesgeschäft. Macht Führen eigentlich Spaß?

Maier: Führen macht einen Riesenspaß. Auch vermeintlich unpopuläre Entscheidungen zu treffen macht Spaß, weil sie am Ende im Sinne des Ganzen getroffen werden. Führen macht immer dann Spaß, wenn man eine Idee davon, wie es laufen soll und der Erfolg da ist. Gemeinsam Feste zu feiern, ist großartig. Dann ist Führung das schönste, was es gibt. Führung ermöglicht es dir, Träume wahrzumachen.

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